Jochen Olbrich 09.11.2003
Allgemeines/Sachthemen -
Falsche Begriffe
6. Soziale Gerechtigkeit
3. Fassung
Falsche
Begriffe
6. Soziale
Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit und soziale Verantwortung
1. Einleitung
und geschichtlicher Rückblick
2. Arten von
Gerechtigkeiten
3. Soziale Gerechtigkeit, der Sozialstaatsgedanke und
das Solidarprinzip
3.1 Der allgemeine Fall
3.2 Die überraschend eingetretene individuelle Notlage
4. Die Übertreibung des Sozialstaatsgedanken
4.1 Übertreibungen bei der
Einkommenssteuer
4.1.1 Die Übersicht: Die Einkommenssteuer bei einem
Steuersatz von 20 %
4.1.2 Die Übertreibung im Einkommenssteuerrecht
1. Einleitung und geschichtlicher
Rückblick
Das ist
zugegebener Maßen ein schwieriges Kapitel:
So sagte einst der neoliberale österreichische
Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek:
„Mehr
als zehn Jahre habe ich mich intensiv damit befasst,
den Sinn des Begriffes >soziale
Gerechtigkeit< herauszufinden.
Der Versuch ist gescheitert.“
Er war davon überzeugt, dass die
Verteilung der Güter nach den Gesetzen des Marktes erfolgen sollte, deren
Effizienz letztendlich auch den Armen zugute kommen sollte.
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und sein
Staatssekretär Alfred Müller-Armack formulierten in den 50er Jahren das
Konzept der „Sozialen Marktwirtschaft“ statt ungezügeltem Kapitalismus. Er
formulierte:
„Sinn
der sozialen Marktwirtschaft ist es,
das
Prinzip der Freiheit auf dem Markt
mit
dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“
Der gemeinsame Nenner vieler Ökonomen war die Forderung nach Chancengleichheit
statt Ergebnisgleichheit!
2. Arten von Gerechtigkeiten
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts tauchte
der Begriff der Generationengerechtigkeit - oder der
Intergenerationengerechtigkeit - auf.
Man befasste sich mit der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Menschen
unterschied-licher Altersstufen.
Die Themen waren:
demographische
Entwicklung und drohende Überalterung der Bevölkerung,
anhaltend
schwaches Wachstum und
steigende
Staatsverschuldung.
Man unterschied nunmehr zwei Arten von Gerechtigkeiten:
Die
„vertikale Gerechtigkeit“ nämlich die Gerechtigkeit zwischen den Genera-
tionen
und betrachtete die immensen öffentlichen Schulden und gesetzlichen
finanziellen
Verpflichtungen, die die Generation der heutigen 30- bis 60-Jährigen
der
nächsten Generation hinterlässt.
So äußert sich Meinhard Miegel,
Direktor des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn:
„Das
ist vielleicht die dramatischste Verwerfung in neuerer Zeit,
dass
die Generation der heutigen 30- bis 60-Jährigen eine so gewaltige
Schuldenlast
an die nächste Generation weitergibt.“
Die „horizontale Gerechtigkeit“
befasst sich mit der Gerechtigkeit zwischen den
jetzt
lebenden Generationen also zwischen den Kindern, Erwerbstätigen
Sozialhilfeempfängern,
Arbeitlosen und den Rentnern.
Anmerkung:
Entsprechende
Begriffe gibt es auch bei der Debatte um ein gerechtes
Steuersystem:
„horizontale
Steuergerechtigkeit“ und
„vertikale
Steuergerechtigkeit“.
(Siehe auch unter Prinzipien des Rechts)
Es wird z.B. vom Thomas Straubhaar, dem Präsidenten des Hamburger
Weltwirt-schaftsarchivs (HWWA) der Vorwurf erhoben:
„Es
geht allein darum, die Besitzstände der aktuellen Generation
zu
wahren!
Auch Klaus Zimmermann, Präsident
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sieht das
ähnlich:
„Jetzt
muss es darum gehen, mehr Wachstum und damit mehr
Beschäftigung zu schaffen.“
Denn gerade der Arbeitsmarkt sei der Schlüssel zu mehr Chancengleichheit.
„Versicherung darf nicht
mehr mit sozialer Gerechtigkeit
vermengt
werden.“ fordert Thomas Straubhaar und schlägt vor:
Jeder bekommt ein staatliches Mindesteinkommen. Der Versicherungszwang für
Krankheits- und Rentenvorsorge sowie für Arbeitslosigkeit bleibt bestehen.
Aber es werden alle Gruppen einbezogen – auch Hausfrauen und Freiberufler
Die Versicherung wird privatrechtlich organisiert.
Mit staatlichen Zuschüssen kann das dann sozialverträglich ausgestaltet werden.
Die Deutschen seien aber seit Friedrich dem Großen Staatsbetreuung gewöhnt,
gibt Meinhard Miegel zu bedenken.
(Quelle: „Ökonomen vermissen
Generationen-Gerechtigkeit“, Handelsblatt vom 01.09.2003)
3. Soziale
Gerechtigkeit, der Sozialstaatsgedanke und das Solidar-
prinzip
Zuerst sollen hier einige Festlegungen
zum Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“, dem „Sozialstaatsgedanken“ und dem
„Solidarprinzip“ getroffen werden.
Der
„Sozialstaatsgedanke“ hat zum Kernelement, dass derjenige,
der
unverschuldet in Not geraten ist, von der Solidargemeinschaft
finanziell
unterstützt wird.
Dieser
als „soziale Gerechtigkeit“ bezeichnete Grundsatz ist auch der
Inhalt
des „Solidarprinzips“.
3.1 Der
allgemeine Fall
Betrachten wir zunächst den allgemeinen
Fall:
(1)
Zuerst ist aber immer der Einzelne gefordert, seine eigenen Bedürfnisse
zu befriedigen und seinen eigenen
Verpflichtungen nachzukommen.
(2) Erst wenn er aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage ist,
ist die
Solidargemeinschaft (auch dauerhaft)
gefordert.
(3) Die gewährte Unterstützung muss immer soweit gehen, dass er
immer
ein menschenwürdiges Leben führen kann.
(4) Als Lösung der finanziellen Probleme tritt hier die
Sozialhilfe in
Funktion – gespeist aus Steuergeldern des
Volkes!
Sie
finanziert gegebenenfalls den gesamten Lebensunterhalt: Nahrungsmittel,
Kleidung,
Wohnung, Strom, Telefon und Zeitung usw.
Dies
allerdings auf einem niedrigen aber menschenwürdigem Niveau.
Die
Sozialhilfe zahlt auch die Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme!
3.2 Die überraschend eingetretene
individuelle Notlage
Betrachten wir nun die überraschend
eingetretene individuelle Notlage:
(1) Wenn der Einzelne überraschend und
unvorhersehbar in Not geraten
ist,
ist ebenfalls die Solidargemeinschaft gefordert; zumindest dann,
wenn
seine eigenen Kräfte für die finanzielle Bewältigung des Not-
falls
nicht ausreichen,
o
Damit die Solidargemeinschaft nicht zu oft für den Einzelnen einspringen
muss, kann der Staat verlangen, dass der
Einzelne für die üblichen Fälle des
täglichen Lebens Zwangsversicherungen
abschließt z.B. :
Krankenversicherung,
Arbeitslosenversicherung,
Unfallversicherung,
Rentenversicherung,
Pflegeversicherung
usw.
o
Der Staat kann auch finanzielle Grenzen festsetzen, bei denen der Einzelne für
sich selbst sorgen kann und dann auch muss.
Streng genommen hätte er dann auch im
Notfall keinen Anspruch auf die
Unterstützung der Solidargemeinschaft.
(2) Die Unterstützung der
Solidargemeinschaft der Versicherten ist min-
destens in dem Maße erforderlich, wie es
der finanziellen Kraft des
Einzelnen übersteigt, die gleichen
Leistungen wie alle anderen zu
erhalten.
o
Diese Art von Versicherungen gibt es nicht; weder in der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV), noch in der
Rentenversicherung und auch
nicht in der Pflegeversicherung.
o
Man kann auch alle entstehenden Kosten auf die Versicherung abwälzen
für dann allerdings höhere
Beitragszahlungen. (Das ist heute bei den
staatlichen Zwangs-Versicherungen der
Fall!)
o
Eigentlich müsste der Einzelne zwischen beiden Systemen eine Wahlfrei-
heit haben!
o
Die Versicherungsbedingungen - hier besonders der Leistungskatalog
der Versicherungen - darf ohne Not für
bestehende Versicherungen
nicht geändert werden – auch nicht vom
Staat!
o
Bei neuen Versicherungen sind vor Vertragsabschluss jederzeit Ände-
rungen gegenüber alten
Versicherungsbedingungen möglich.
(3)
Die gewährte Unterstützung aus dieser Zwangsversicherung muss
mindestens immer so weit gehen, dass er
immer ein menschenwürdiges
Leben führen kann.
Er darf also auf Grund
seiner Unfähigkeit, in dieser Notsituation seine
eigenen
finanziellen Verpflichtungen selbst zu erfüllen, bei der Inan-
spruchnahme
von Leistungen nicht schlechter gestellt werden als ein
Sozialhilfeempfänger.
Selbst
dies wäre noch eine Schlechterstellung: Zahlt der Versicherte doch
Versicherungs-Beiträge
aus eigener Tasche.
(4)
Die gewährte Unterstützung aus dieser Zwangsversicherung muss
eigentlich so weit gehen, dass er seinen
bisherigen Lebensstandard
beibehalten kann; zumindest für eine
überschaubare Zeit.
4. Die Übertreibung des Sozialstaatsgedanken
Man kann den Sozialstaatgedanken auch
dadurch übertreiben, dass man ihn gleich
zweimal
oder noch öfter anwendet:
4.1 Übertreibungen bei der Einkommenssteuer
(1) Man betreibt Sozialpolitik bereits bei der Einkommenssteuer.
Derjenige der wenige verdient,
zahlt auch wenig Steuern!
Derjenige
der viel verdient, zahlt viel Steuern.
Das ist richtig und sozial gerecht und
einsichtig!
„Starke
Schultern müssen mehr belastet werden als schwache !“
Der
Teufel steckt wie immer auch hier im Detail.
Lassen
wir deshalb bei dieser Betrachtung andere Steuern z.B. Verbrauchsteuern)
völlig
außer acht!
Es
stellen sich fast automatisch mehrere Fragen:
o
Soll man für alle einen einheitlichen Steuersatz einführen?
Natürlich
muss man erst einmal ein bestimmtes Einkommen völlig von der
Steuer
befreien! „Erst kommt der Mensch dann die Menschenordnung!“
Dies
nennt man Steuerfreibetrag, Steuerfreiheit für des Existenzminimum
oder
steuerfrei Grundsicherung des Menschen.
o
Wie hoch soll dann dieser Steuersatz sein, der die finanzielle Grundsicherung
übersteigt?
o
Soll er 10 %, 20 % oder 25 % betragen? (Hier beginnt die Willkür!)
Wenn man z.B.
festlegen würde, dass der Sozialhilfesatz und die begleiten-
de
Hilfe des Staates (für Mietkosten, Waschmaschine, Renovierung usw.)
steuerfrei
sein sollte, käme man vielleicht auf einen Betrag von 1000 € im
Monat
für eine Ehepaar, der monatlich steuerfrei bleiben müsste!
Das
darüber hinaus gehende Einkommen müsste dann versteuert werden.
Wenn
der Ehemann allein (oder zusammen mit der Ehefrau) z.B. 6 000 €
im
Monat verdienen würde, müsste der Betrag von 5 000 € versteuert
werden.
Bei
einem Steuersatz von z.B. 20 % würde die Steuer 1 000 € betragen.
Ein
anderes Ehepaar, das nur 2 000 € im Monat verdienen würde, käme
auf
eine Steuer von 200 €.
Ein
anderes sehr gut verdienendes Ehepaar mit einem Monatseinkommen
von
21 000 € müsste demnach 20 000 € versteuern und müsste 4 000 € an
Steuern
bezahlen.
4.1.1 Die Übersicht: Die Einkommenssteuer bei einem Steuersatz von 20 %
monatl. Eink. zu versteuerndes Eink. Steuern Verbleib Prozents.
1 000 € 0 € 0 €
1 000 € 100 %
2 000 € 1 000 € 200 € 1 800 € 90 %
6 000 € 5 000 € 1
000 € 5 000 € 83 %
21
000 € 20 000 € 5 000 € 16 000 € 76%
Derjenige,
der viel verdient,
o
leistet auch einen höheren Beitrag für die Aufgaben der Gemeinschaft.
o
behält auch den geringsten Anteil von seinem Nettoverdienst.
o
zahlt auch bei gleichem prozentualem Steuersatz den höchsten
persönlichen prozentualen Satz von seinem
Nettoeinkommen an Steuern!
Derjenige,
der sehr wenig verdient, leistet gar
keinen Beitrag.
Derjenige,
der mittelmäßig verdient, leistet einen mittelgroßen Beitrag zur
Finanzierung
der Gemeinschafsaufgaben.
Das
ist doch sozial gerecht!
4.1.2 Die Übertreibung im Einkommenssteuerrecht
Statt
sich damit zu begnügen , beginnt man bereits hier zu übertreiben:
Es
gibt mehre Vorschläge für einen Stufentarif.
Der
Vorschlag der CDU (Gunnar Undall) mit den Steuersätzen
Der Vorschlag der CDU (Merz)
mit den Steuersätzen 12 %, 24 % und
36 %
Der
Vorschlag der FDP (Solms) mit den Steuersätzen 15
%, 25 % und 35 %
Der
Vorschlag von Paul Kirchhoff mit den Steuersätzen
Es
stellt sich kaum einer die folgende Frage:
o
Warum überhaupt einen Stufentarif?
Die wahrscheinlich richtige Antwort:
Derjenige,
der viel verdient soll noch mehr zahlen!
o
Es gibt noch den linearen Steuertarif! Warum?
Die wahrscheinlich richtige Antwort:
Derjenige, der
viel verdient soll noch mehr zahlen!
o
Es gab außerdem noch den linear progressiven Steuertarif! Warum?
Die wahrscheinlich richtige Antwort:
Derjenige,
der viel verdient soll noch viel mehr bezahlen!
Alle
Vorschläge und Ideen um eingerechtes Steuersystem haben viele
Gemeinsamkeiten:
o
Es geht mehr um die Befriedigung niederer Gefühle wie Neid und Missgunst als
Gerechtigkeit!
o
Die Neiddebatte braucht immer wieder neue Nahrung! Diese muss bedient
werden!
o
Der Staat will soviel Geld wie irgend möglich.
o
Entweder holt er sich jeweils wenig Geld von vielen Armen oder jeweils viel
Geld von wenigen Reichen. Das Ergebnis soll
gleich sein!?
Der Staat braucht Geld!
Am besten ist es, wenn er sich jeweils
wenig Geld von vielen Armen holt und
zusätzlich jeweils viel Geld von wenigen
Reichen.
Es
stellt sich auch kaum einer die folgenden Fragen:
o
Warum ist die Einkommenssteuer die einzige Steuer, bei der man das so
genannte Stufenmodell anwenden soll?
o
Warum glaubt man gerade hier ein besonderes Maß an sozialer Gerechtigkeit
nur mit einem Stufentarif - wie auch immer
er aussehen mag – hinbekommen
zu können?
Kein
Mensch kauft einen Mercedes und zahlt die Mehrwertsteuer nach dem
Stufentarif!
Kein
Mensch kauft ein Brötchen und bezahlt die Mehrwertsteuer im Stufentarif!
4.2 Übertreibungen bei den sozialen Sicherungssystemen
(1) Die soziale Absicherung geschieht auf
der Ausgabenseite der sozialen
Sicherungssysteme:
Derjenige, der (überraschend und
unverschuldet) in Not geraten ist,
soll
die gleichen Leistungen erhalten, wie alle anderen.
Das
ist zweifelsfrei in Ordnung!
(2) Zum anderen geschieht dies aber oft
zusätzlich auf der Einnahmeseite
der
sozialen Sicherungssysteme:
Derjenige, der ein geringes Einkommen –
z.B. als der Durchschnitt –
hat,
zahlt weniger an Beiträgen für die sozialen Sicherungssysteme.
Besonders dramatisch sieht dies bei
den kostenfreien Mitversicherung von Ehefrauen
und Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung aus.
Hier
werden Beiträge aus (nach meiner Meinung) falsch verstandener Solidarität
reduziert,
während gleichzeitig die Ausgabenseite belastet wird.
Also
in Kurzform:
Für
die GKV: Weniger
Einnahmen dafür mehr Ausgaben!
Für
den Versicherten: Bei gleichem
Beitrag, mehr Versicherte und höhere
Leistungen!
4.4
Übertreibungen bei Gebühren