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Regelarten und die Kompetenzen
(3)

Die Suche nach der idealen Demokratie
und die Suche nach dem erfolgreichen Vorgehen

aus der Serie:
Die Rettung der Demokratie in Deutschland

Teil E: Die Absicherung
(27. März 2012)

 

Gliederung

5. Regelarten und die Kompetenzen
(oder: Der Umgang der Politik mit den Regeln)

 

 

Zum Einstieg
einige Feststellungen und Gedanken zum Umgang der Politiker mit den Gesetzen

1. Gesetze ohne Konsequenzen
       Politiker lassen sehr gute Ziele, Entscheidungen oder Maßnahmen mit gut klingenden Formulierungen in Gesetze schreiben, aber es passiert nichts dergleichen.

2. Legalisierte Willkür
       Die Politik legt vieles nach eigenen (oft ideologisch eingefärbten) Vorstellungen, nach dem Koalitionsvertrag oder nach der aktuellen Kassenlage fest.
       Und das soll dann Politik sein!?
       Die Politik würde auf große Akzeptanz stoßen, wenn sie sich an den für den Bürger nachvollziehbaren Grundsätzen orientieren würde.
       Dafür müsste die Politik über ihren eigen Schatten springen und sich an übergeordneten Normen orientieren und diese akzeptieren; doch damit tut sich die Politik sehr
       schwer.
       Die Politik setzt nicht auf die alten Weisheiten und auf bewährte Rechtsprinzipien, sondern viel lieber auf Eckwerte, die in Koalitionsvereinbarungen festgelegt worden sind.
       Darin sind also fast immer willkürliche Daten festgelegt.

3. Gesetze mit unterschiedlicher Rangigkeit
       Alle Gesetze müssen verfassungsgemäß sein!
       Aber wenn man unser Grundgesetz ändern will, benötigt man ein Gesetz.
       Mit einem Gesetz kann man also unser Grundgesetz ändern – also die Vorgabe für andere Gesetze ändern.
       Mit derselben Regelart ändert man die Vorgaben für diese Regelart!
       Der einzige relevante Unterschied besteht in der Zustimmungsquote:
       o Für ein „normales“ Gesetz braucht man die einfache Mehrheit.
       o Für ein Gesetz, mit dem man unser Grundgesetz ändert, braucht man die Zweidrittelmehrheit.

Gliederung

1. Die grundlegende These
2. Die Sachverhalte
     (Informationen über die verschiedenen Regelarten)
3. Die weiteren Sachverhalte
     (Der Umgang mit den verschiedenen Regelarten)
     (Die Kompetenzen über Regelarten)
     (oder: Die Vorgänge in Form von Beispielen)
4. Die eigene Bewertung
     (Regelarten ohne Rangigkeit)
5. Die Folgen:
     (Oder: Rechtsstaatlichkeit und die Regelarten)
6. Die Ursachen
     (für dieses offensichtlich undemokratische Fehlverhalten)
     (Der Umgang mit den verschiedenen Regelarten)
7. Die Kompetenzen bei den Regelarten

 

1. Die grundlegende These

Man begeht gleich drei schwerwiegende Unterlassungen mit vielen negativen Folgewirkungen für jede Demokratie, wenn man
    o die Regelarten nicht hierarchisiert,
    o die Kompetenzen für die Regelarten nicht festlegt und
    o diese Hierarchisierung und diese Kompetenzen nicht verbindlich macht.

2. Die Sachverhalte
(Informationen über die verschiedenen Regelarten)

1. Regelarten wurden nur völlig unzureichend hierarchisiert.
    Es gibt bisher nur die drei Festlegungen:
     1. Alle Gesetze müssen dem Grundgesetz entsprechen.
     2. Ausführungsvorschriften beziehen sich immer nur auf ein Gesetz und das entsprechende Gesetz kann erst angewendet werden, wenn die Ausführungsvorschrift
            vorliegt.
     3. Rechtsverordnungen können nur auf Grund eines Gesetzes erlassen werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. (Art. 80; GG)
            Durch Gesetze können Bundesregierung, ein Bundesminister oder eine Landesregierung ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.
            Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz genannt sein.

2. Es gibt noch etliche andere Regelarten
         (Regelart)                    (Beispiel)
            o Rundschreiben:               Stundenstafel für alle Berliner Schulen
            o Richtlinie:                        Richtlinien der EU
            o Erlass:                              Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzministers
            o Dekret:                             (?)
            o Vertrag:                           der sogenannte Generationenvertrag, die Koalitionsverträge
            o Protokoll:                         Abschaffung der Hauptfächer durch die KMK (vor ca. 40 J.)
            o Bericht:                            Arbeitsmarktbericht, Jahreswirtschaftsbericht,
            o Buch:                                Weißbuch der Bundesregierung
                                                         Der hier gemeinte genaue Titel lautet:
                                                         „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und
                                                         zur Zukunft der Bundeswehr“.
                                                         Es gibt aber auch noch andere Weißbücher.

 

3. Die weiteren Sachverhalte
(Der Umgang mit den verschiedenen Regelarten)
(Die Kompetenzen über Regelarten)
(oder: Die Vorgänge in Form von Beispielen)

1. Die Stundentafel für alle Berliner Schulen steht in einem Rundschreiben der Senatsverwaltung für Schulwesen und nicht im Schulgesetz von Berlin.
2. Der Bericht zum Arbeitsmarkt enthält nicht nur Feststellungen, sondern auch Verbesserungsvorschläge, die dann von der Regierung, die diesen Bericht in
     Auftrag gegeben hat, plötzlich als verbindliche Vorgaben betrachtet werden.
3. Das Weißbuch der Bundeswehr, das ebenfalls die Regierung in Auftrag gegeben hat, enthält Aussagen und Festlegungen zur militärischen Sicherung unserer Handelswege
     für den Import und den Export.

 

4. Die eigene Bewertung
(Regelarten ohne Rangigkeit)

Wenn man die Regelarten nicht hierarchisiert und die Kompetenzen für die Regelarten nicht festlegt und diese Hierarchisierung und diese Kompetenzen
nicht verbindlich macht, hat man gleich mehrere schwerwiegende und folgenschwere Unterlassungen begangen.
Ganz allgemein gilt:
    o Man kann dann mit einer niederrangigen Regel eine höherrangige Regel außer Kraft setzen.
    o Man schreibt gleich wichtige Dinge in eine niederrangige Regel und nicht mehr in ein Gesetz.

    1. Man trickst das Parlament aus.
          Man umgeht dadurch den Gesetzgeber und kann ihn jederzeit erneut austricksen.
          Die Abgeordneten erfahren au der Zeitung, was beschlossene Sache ist.

    2. Man hält sich oft nicht an die Gewaltenteilung,
          Das Parlament ist die Legislative. Die Bundesregierung oder der Bundesfinanzminister gehören eindeutig zur Exekutive. Damit setzt sich die Exekutive über die
          Legislative.

 
   3. Man hält sich nicht an das Mehrheitsprinzip.
          Ein Einzelner entscheidet über die Mehrheit.
          Der Bundesfinanzminister entscheidet mit einem Nichtanwendungserlass über die Mehrheit im Parlament. Er setzt sich als Einzelner über die Entscheidung der
          Mehrheit im Parlament hinweg.

    4. Man hält sich nicht an die Stufen der Legitimierung.
          Personen oder Gremien, die nur sekundär oder gar tertiär legitimiert worden sind, stellen sich über die vom Volke in freien Wahlen primär legitimierten Volksvertreter.

    5. Man stellt die Verwaltung vor schwierige Aufgaben.
          Die Verwaltungen müssen prüfen, welche Regelungen noch gelten und welche Regelungen noch anzuwenden sind und welche Rangigkeiten bei der Entscheidung
          zu beachten ist.

    6. Man trickst das Bundesverfassungsgericht aus.
          Man umgeht dadurch die Verfassungsgerichte, entweder das Bundesverfassungsgericht oder die Verfassungsgerichte der Länder, weil sich diese höchsten Gerichte
          nur um Gesetze kümmern dürfen.
          Das Bundesverfassungsgericht darf nur prüfen, ob ein beschlossenes Gesetz der aktuellen Fassung unseres Grundgesetzes entspricht. Es prüft keine anderen
          Regelarten.
          Andere Regelarten als ein Gesetz sind Richtlinien, Rundschreiben, Novellen, Erlasse, Dekrete, Berichte, Protokolle oder gar ein Buch.

 

5. Die Folgen:
(Oder: Rechtsstaatlichkeit und die Regelarten)

Politiker können sehr locker über „Rechtsstaatlichkeit“, über unsere „Parlamentarische Demokratie“ und über unsere „freiheitlich demokratische
Grundordnung“ reden, aber bei genauem Hinsehen entpuppen sich diese als demokratische Floskeln oder als demokratische Feigenblätter.

 

6. Die Ursachen
für dieses offensichtlich undemokratische Fehlverhalten
Der Umgang mit den verschiedenen Regelarten

1. Regelarten wurden nur völlig unzureichend hierarchisiert.
    Es gibt bisher nur die drei Festlegungen:
     o Alle Gesetze müssen dem Grundgesetz entsprechen.
     o Ausführungsvorschriften beziehen sich immer nur auf ein Gesetz, und das entsprechende Gesetz kann erst angewendet werden, wenn die Ausführungsvorschrift
          vorliegt.
     o Rechtsverordnungen können nur auf Grund eines Gesetzes erlassen werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. (Art. 80)
          Durch Gesetze können Bundesregierung, ein Bundesminister oder eine Landesregierung ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.
          Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz genannt sein.

2. Besonders interessant erscheint mir der so genannte „Nichtanwendungserlass“
     1. Wenn Bürger gegen eine Entscheidung von der Verwaltung oder vom Finanzamt vor dem zuständigen Gericht klagen und sie erhalten Recht, hat die Politik
          immer noch mehrere Möglichkeiten:
          o Sie verzögern die Veröffentlichung der Urteilsbegründung im offizielle Amtsblatt des Bundesministeriums.
              Dann kann sich kein anderes Gericht auf das Urteil berufen.
          o Wenn sich das nicht ewig hinauszögern lässt, erlässt der Bundesfinanzminister einen so genannten „Nichtanwendungserlass“!
              Damit kann das Gesetz nicht mehr angewendet werden!
              Unliebsame Steuergesetze werden also kassiert. (Gewaltenteilung ade!)
              (Quelle: „Nichtanwendungserlasse – Das BMF, der geheime Gesetzgeber“ in: Der Steuerzahler Heft März 2008 Seit 48)
     2. Die Finanzverwaltung versucht deshalb von vorn herein unliebsame Urteile zu vermeiden.
          o Wird beispielweise nur ein Gerichtsbescheid erlassen oder ein Vergleich geschlossen, kommt es erst gar nicht zu einem Urteil, auf das sich andere Steuer-
              zahler berufen können.
              In diesen Fällen bedarf es dann nicht einmal eines Nichtanwendungsbeschlusses.
             
(Quelle: „Nichtanwendungserlasse – Das BMF, der geheime Gesetzgeber“ in: Der Steuerzahler Heft März 2008, Seite 48)
     3. Durch einen Erlass eines Einzelnen (des Bundesfinanzministers) kann ein Gesetz, das Hunderte von Abgeordneten beschlossen haben, außer Kraft gesetzt werden.
          Damit kann das Gesetz nicht mehr angewendet werden – es ist unwirksam!
          Das Gesetz besteht zwar weiterhin – es kann nicht mehr angewendet werden!
          So ergeht es etwa 6 Gesetzen pro Jahr!
          (Quelle „Gerichtspräsident: Minister missachtet Steuerurteile“, „Der Tagesspiegel“ vom 6.12.2008)
     4. Fazit
          Die Legislative ist nicht unabhängig und kann nicht frei entscheiden.
         
Die Abgeordneten werden durch andere Personen in ein sehr differenziertes Abhängigkeitsverhältnisse gebracht.
          Die Abgeordneten werden durch eine kleine Zahl anderer Personen zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten bei entscheidenden Gesetzesvorlagen bewegt.
          Die wichtigen Entscheidungen werden in so genannten „Kungelrunden“ von bestimmten Personen ausgehandelt.
    
     Beispiele:
              1.
Kurz vor den Parlamentsferien werden oft sehr viele Gesetze verabschiedet.
                   In der letzen Woche vor den Parlamentsferien im Jahre 2002 wurde im Bundesrat an einem einzigen Tage über sage und schreibe 62 Gesetze abgestimmt.
               2. Wenn die Entscheidungsdichte zunimmt, leidet aber auch bei kompetenten Personen die Aufmerksamkeit!
         
     3. Es soll vorgekommen sein, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages erst einige Minuten vor der Abstimmung die Änderung von Gesetzesvorlagen
                   erhalten haben.
                   (Quelle: „Schluss mit Pillepalle“, [Michael Fuchs als neuer Abgeordneter und Unternehmer und ehemaliger Präsident des Deutschen Groß- und Einzelhandels],
                                                                                Handelsblatt vom 6.12.2002)
              5. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages entscheiden manchmal sogar über Gesetze, die sie gar nicht lesen konnten, weil komplizierte Gesetzesvor-
                   lagen der Regierung (oder die Änderungen von Gesetzesvorlagen) sehr kurzfristig ins Parlament oder in einen Ausschuss eingebracht wurden, so dass die
                   Abgeordneten keine Zeit hatten sie zu lesen, geschweige denn sie mit ihren persönlichen Mitarbeitern oder mit dem wissenschaftlichen Dienst des
                   Deutschen Bundestages durchzuarbeiten.
                  
Die Abgeordneten stimmen manchmal über Gesetze ab, deren Wortlaut ihnen nicht einmal komplett vorliegt.
                   (Quelle: „Schluss mit Pillepalle“, [Michael Fuchs als neuer Abgeordneter und Unternehmer und ehemaliger Präsident des Deutschen Groß-
                                                                                und Einzel
handels], Handelsblatt vom 6.12.2002)

 

7. Die Kompetenzen bei den Regelarten
für dieses offensichtlich undemokratische Fehlverhalten
Der Umgang mit den verschiedenen Regelarten

1. Gesetze, Ausführungsvorschriften und Rechtsverordnungen
     Über Gesetze, Ausführungsvorschriften und über Rechtsverordnungen sind schon weiter oben (unter 2. Die Sachverhalte (Informationen über die verschiedenen Regel-
     arten)
Aussagen gemacht worden.

2. Berichte und Protokolle
     Über Berichte und Protokolle lässt sich gemeinsam feststellen, dass sie sich auf Vergangenes beziehen. Damit kann man schlecht zukunftweisende Regelungen verbind-
     lich festlegen.

3. Bücher
     Mit Büchern kann man fast alles beschreiben, aber eben nicht für andere verbindliche Festlegungen und Regelungen beschreiben.

4. Rundschreiben
     Rundschreiben dienen der Information einer Verwaltungseinheit. Sie dienen nicht dazu – quasi durch die Hintertür – gesetzesgleiche Festlegungen und Regelungen für
     andere  verbindlich zu machen.

5. Richtlinie
     Eine Richtlinie dient dazu, in einem mehr oder weniger breit gefächerten Rahmen zukunftsweisende Vorgaben zu machen. Das kann z.B. für Forschungsaufgaben
     geschehen. Dann könnte z.B. der für Forschung zuständige Minister eine Richtlinie herausgeben.

6. Verträge
     Verträge sind allgemeine Vereinbarungen, die zwischen zwei oder mehreren Vertragspartnern ausgehandelt wurden. Es kann sich dabei um die unterschied-
     lichsten Sachverhalte handeln: um einen Ehevertrag, um den Kauf einer Immobilie, um einen Liefer- oder Handelsvertrag, oder gar um einen Vertrag zwischen Staaten
     wie z.B. um einen Friedensvertrag.
     Beide Vertragspartner müssen einem Vertrag zustimmen, damit er Rechtkraft erhält.
     Fast immer wird die Zustimmung zu einem Vertrag mit der Unterschrift der Vertragspartner besiegelt.
     Abweichungen von den Vereinbarungen müssen neu verhandelt werden.
     Es gilt das so genannte Vertragsrecht.
     Der sogenannte Generationenvertrag ist unwirksam, weil ihm keiner der Betroffenen zugestimmt hat.
     Die Koalitionsverträge sind ebenfalls unwirksam, weil es dafür mehre Gründe gibt:
     o Die Zustimmung von den Abgeordneten, die die Regierung tragen, ist immer unter Druck zustande gekommen.
     o Die Abgeordneten, die die Regierung tragen, haben den Koalitionsvertrag nicht in Auftrag geben.
     o Die Abgeordneten, die die Regierung tragen, haben die Funktionäre, die den Koalitionsvertrag ausgearbeitet haben, nicht bestimmt.
     o Die Abgeordneten, die die Regierung tragen, haben auf die Auswahl der Funktionäre, die den Koalitionsvertrag ausgearbeitet haben, keinen Einfluss gehabt.
     o Die Abgeordneten, die die Regierung tragen, haben auf die Inhalte des  Koalitionsvertrages kaum Einfluss nehmen können.

7. Erlass
     Einen Erlass kann ein Minister herausgeben. Er muss verschiedene Voraussetzungen  erfüllen, damit er akzeptiert werden kann und unangreifbar ist.
     o Er muss sich auf seinen Geschäftsbereich beziehen.
     o Er darf nicht rückwirkend gelten.
     o Er darf gegen kein Gesetz verstoßen.
     o Er muss sich in das bestehenden Rechtgefüge einordnen lassen.
     o Er darf also nur Lücken in der Rechtslage füllen.
     Anmerkung:
          Der so genannte Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzministers erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

8. Dekret (= Erlass)

     Ein Dekret ist eine Veröffentlichung eines Richters oder eines Vorsitzender einer Verwaltung. Sie kann sich also nur auf Vorgänge beziehen, die in den jeweiligen
     Geschäftsbereich fallen oder sich auf das jeweilige Aufgabenfeld beziehen.