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Das
Bundeswahlgesetz
Gliederung
1. Aufgaben und Funktionen
von Wahlgesetzen (8)
2. Die wichtigsten Informationen über das Bundeswahlgesetz (14)
2.1 Die
Vorgaben des Grundgesetzes (1)
2.2 Die Prinzipien des Wahlrechts (5)
2.3 Die Änderungen des Bundeswahlgesetzes (4)
2.4 Die Unterschiede der Parteidelegierten (4)
3. Die wesentlichen Kritikpunkte des Wahlgesetzes (33)
3.1 Die Differenzen zwischen dem Sein-Sollenden und der Realität (5)
3.2 Das komplizierte Bundeswahlgesetz (8)
3.3 Die Paradoxien im Bundeswahlgesetz (3)
3.4 Die unterschiedliche Legitimierung und Vertretung der Wähler (5)
3.5 Die für den Wahlausgang bedeutungslosen Stimmen (3)
3.6 Die Kritikpunkte als Meinungsäußerung zusammengefasst (9)
Ausführungen
1. Aufgaben und Funktionen von Wahlgesetzen (8)
(Der
Sinn von Wahlen: Warum braucht man
Wahlen?
Warum
braucht man dafür ein Gesetz?)
1. Die
politische Willensbildung sollte ihren hochrangigsten Ausdruck im Bundeswahlgesetz
finden.
1. Mit dem Bundeswahlgesetz werden die
Abgeordneten des Bundestages gewählt, die die Anliegen und Interessen des
Volkes aufnehmen,
beraten
und zu einem gerechten Ausgleich bringen.
2.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind die vom Volke direkt legitimierten
Volksvertreter.
3.
Sie sollen die Regeln für Staat und Gesellschaft beraten und beschließen.
2.
Das Wahlgesetz soll Regelungen festlegen, damit Personen aus der Mitte des
Volkes bestimmt werden,
die
die Interessen des Volkes vertreten. (2)
1. Es sind die Vertreter des Volkes oder
kurz die Volksvertreter.
2.
Mit ihrer Wahl werden sie für eine vorher festgelegte und unstrittige Zeit
legitimiert, die Interessen des Volkes zu vertreten.
3.
Das Wahlrecht muss dem Volke eine Stimme geben und keinem anderen. (1)
1. Das muss nicht nur proklamiert werden,
sondern der Realität entsprechen.
4.
Das Wahrecht muss entsprechende Regelungen enthalten, damit es dem Volke
(tatsächlich) eine Stimme geben kann. (7)
1. Alle gesellschaftlichen
und politischen Strömungen, die im Volke vorhanden sind, müssen sich
artikulieren können.
2.
Alle wesentlichen gesellschaftlichen und politischen Strömungen müssen sich irgendwie
bündeln und gewichten lassen.
3.
Das Wahlrecht muss so beschaffen sein, dass alle gesellschaftlichen und
politischen Strömungen im Volke aufgenommen werden können.
4.
Alle wesentlichen gesellschaftlichen und politischen Strömungen müssen auch im Parlament
vertreten sein und sich dort entsprechend ihrer
Stärke
und Verbreitung widerspiegeln.
5.
Das Wahlrecht muss so beschaffen sein, dass die Interessen des Volkes durch den
Wahlvorgang aufgenommen werden können.
6.
Alle gesellschaftlichen und politischen Strömungen, die im Volke vorhanden
sind, müssen sich artikulieren können.
7.
Alle politischen Meinungen müssen vertreten werden können, bis auf die, die
auch nur eine dieser drei Funktionen der Demokratie abschaffen
oder
beseitigen will.
Diese
drei Funktionen der Demokratie sind:
o Die Demokratie muss dem Volke eine
Stimme geben.
o
Die Abgeordneten müssen frei und unbeeinflusst entscheiden können.
o
Die Parlamente müssen die Regeln für Staat und Gesellschaft bestimmen.
(o
Nach jeder Wahl muss es einen friedlichen und unblutigen Machtwechsel geben.)
5. Das
Wahlrecht muss außerdem bestimmten Anforderungen genügen, über die man sich vor
der Wahl einigen muss. (9)
1. Das Wahlrecht muss zu schnellen und klaren Ergebnissen führen.
2.
Das Wahlrecht muss für jeden Bürger einfach und verständlich sein.
Er
muss nicht nur verstehen, dass er zwei Kreuzchen machen muss, sondern er muss auch
alle Auswirkungen seiner beiden Kreuzchen
verstehen
und seien sie noch so filigran.
3. Das Wahlrecht muss die gleichen
Chancen für alle Parteien bieten.
4.
Das Wahlrecht muss die gleichen Chancen für jeden Kandidaten bieten.
5.
Das Wahlrecht muss klare Aussagen über die Anwendung der beiden Prinzipien des
Wahlrechts enthalten:
Das
Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht.
6.
Wenn das Wahlgesetz beide Wahlrechtsprinzipien berücksichtigt, müssen beide Wahlrechtsprinzipien
gleichwertig behandelt werden.
Das
bedeutet auch, dass nach jedem Wahlrechtsprinzip die gleiche Anzahl von Abgeordneten
im Bundestag sitzen müssen!
(Bisher
gibt es immer mehr Abgeordnete, die über die Zweitstimmen ins Parlament
eingezogen sind als über die Erststimmen!)
Das bedeutet auch, dass die
Mehrheit der Erststimmen für den Wahlausgang nicht bedeutungslos unter den
Tisch fallen darf.
Dabei
muss es egal sein, welche Wahleinheit man zugrunde legt:
Einen
Stimmbezirk, einen Wahlkreis, ein Bundesland oder die Gesamtheit der Stimmen im
Bund.
(Bisher
ist es so, dass oft die Mehrheit der Erststimmen für den Wahlausgang bedeutungslos
unter den Tisch fällt!)
7.
Das Wahlrecht muss besonders in den Auswirkungen der beiden Stimmen für jeden
Bürger einfach und verständlich sein.
8.
Das Wahlrecht muss so beschaffen sein, dass die aus den Wahlen hervorgegangenen
Volksvertreter in etwa dem Anspruch einer
repräsentativen
Demokratie entsprechen.
Egal welches Kriterium man nimmt, der
Anteil der Angeordneten muss in etwa dem Anteil in der Bevölkerung entsprechen.
Jede Gruppierung sollte
entsprechend ihrem Anteil in der Bevölkerung im Parlament vertreten sein.
Dann
ist es auch für das Parlament als Ganzes und für alle Abgeordneten leichter, ihre
Aufgaben zu erfüllen, weil sie nicht in andere Rollen
schlüpfen
müssen.
Wenn
der Anteil einer Gruppe von Abgeordnete einer Bevölkerungsgruppe weit überschreitet
(z.B. um mehr als den Faktor 2),
sollte
ein Ausgleich zumindest bei der Aufstellung der Kandidaten bei der nächsten
Wahl erfolgen.
Der
Ausgleich ist am einfachsten bei den Kandidaten der Landesliste zu erreichen.
(Das
wird aber Widerstand der Parteien hervorrufen.)
9. Das Wahlrecht muss so beschaffen sein,
dass alle politischen Strömungen und alle Interessen des Volkes eine Chance
haben,
durch
Mandate vertreten zu werden.
6.
Wenn der Bürger gesprochen hat, haben die Parteien zu schweigen. (3)
1. Nach der Durchführung und Auszählung der Stimmen haben die vom
Volke gewählten Abgeordneten das Sagen.
2.
Das Wahlrecht muss so beschaffen sein, dass es den gewählten Abgeordneten die schnelle
Arbeitsfähigkeit ermöglicht.
3.
Kein anderes Gesetz darf diesem Ziel widersprechen oder irgendwelche Auswirkungen
haben, die diesem Ziel widersprechen.
7. Die
Wahltermine dürfen die politische Arbeit nicht wesentlich beeinflussen.
1. Es muss verhindert werden, dass in jedem Jahr mehrmals Wahlen
stattfinden.
8. Es
muss für jede Wahlart nur ein Wahlrecht (Wahlgesetz) geben.
1. Wir brauchen für jede Art von Wahl nur ein Gesetz in
Deutschland.
2.
Wir brauchen nur ein Gesetz für alle Landtagswahlen und ein Gesetz für alleKommunalwahlen.
Wir
haben aber zur Zeit etwa 40 Wahlgesetze!
3.
Es werden benötigt:
o
Ein Wahlgesetz für die Wahlen zum Deutschen Bundestag (Bundeswahlgesetz).
o
Ein Wahlgesetz für die Wahlen zu den Landtagen (Landeswahlgesetz).
o
Ein Wahlgesetz für die Wahlen zu den Abgeordnetenhäusern in den Kommunen. (Kommunalwahlgesetz)
o
Ein Wahlgesetz für die Wahlen zum Europäischen Parlament.
(Hilfsweise
könnte man sich für ein Wahlrechtsrahmengesetz für jede Wahlart verständigen.)
4. Ein Beispiel:
So
hatte beispielsweise Berlin 133 Abgeordnete im Parlament.
Es
hatte 80 Wahlkreise und damit 80 Direktmandate zu vergeben, aber nur 53 Listenmandate.
Das
komplizierte wiederum das Wahlrecht mit einem so genannten „Höchstzahlverfahren“
und
einem dadurch notwendigem „Verhältnisausgleich“!
Nach dem so
genannten „Höchstzahlverfahren“ werden die auf die einzelnen Parteien entfallenen
Mandate ermittelt.
Nach
dem so genannten „Verhältnisausgleich“ werden die anderen 53 Mandate in
der Reihenfolge der nicht zum Zuge gekommenen Hauptbewerber
nach
der Zahl der für sie abgegeben Stimmen verteilt.
Es
sitzen also nach einem komplizierten Verfahren „erste Sieger“ und „zweite Sieger“
gleichrangig im Parlament.
(Quelle: „Erläuterungen zum Berliner
Wahlgesetz“ im „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“, und dem
„Bundeswahlgesetz“ und der
„Verfassung
von Berlin“ 15. Auflage 1962; Herausgeber: Kompaß- Buch- und Zeitschriften-GmbH
Berlin; Seite 140)
Anmerkung:
Es
ist doch schon sehr erstaunlich, dass man in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland
noch immer nicht herausgefunden hat,
welches
Wahlgesetz das Beste ist!
2. Die wichtigsten Informationen über das
Bundeswahlgesetz
2.1 Die Vorgaben und
Festlegungen des Grundgesetzes (1)
Das Grundgesetz sagt fast nichts aus
über die wichtige Frage der politischen Willensbildung und über das Wahlrecht.
(7)
1. Einige Hinweise zum Wahlrecht findet man in den Artikeln
20
[Verfassungsgrundsätze- Widerstandsrecht],
38
[Wahl],
39
[Wahlperiode – Zusammentritt - Einberufung] und
41
[Wahlprüfung].
(Diese
Hinweise enthalten aber nur sehr spärliche Aussagen.)
2.
Man findet kaum Grundsätze über die Wahlen zum Bundestag außer in dem Artikel
38 im Absatz 1.
„Die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer,
freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Sie
sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und
nur ihrem Gewissen unterworfen.“
(Art. 38, Abs. 1; GG)
„Das Nähere bestimmt ein
Bundesgesetz.“
(Art. 38, Abs. 3;
GG)
3. Das Grundgesetz schweigt
praktisch zum Wahlrecht. Die Wahlen müssen nur allgemein, unmittelbar, frei,
gleich und geheim sein.
Damit
sind dem Gesetzgeber Tür und Tor geöffnet, eigene Vorstellungen im Wahlrecht
(Bundeswahlgesetz) festzulegen und jederzeit
entsprechende
Änderungen vorzunehmen.
4.
Es wird nicht einmal gesagt, ob und unter welchen
Bedingungen es ein Verhältniswahlrecht oder ein Mehrheitswahlrecht geben soll.
5.
Man findet nur einen vagen Hinweis über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide.
Nur
in Artikel 20 ist von Abstimmungen des Volkes die Rede.
Sonst
geht es beim Begriff Volksentscheid nur um die Neugliederung von Ländern.
6.
Man findet im Grundgesetz keine Anforderungen an die Kandidaten, die im Falle ihrer
Wahl das Volke vertreten sollen.
7. Die Parteien wirken nicht nur
an der politischen Willensbildung des Volkes mit, wie es das Grundgesetz will
(Artikel 21, Abs. 11 , Satz 1),
sondern
sie bestimmen fast alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgänge.
Politiker verstehen es Feiräume zu
nutzen!
Sie
bestimmen auch über
o
die Wahlgesetze, nach denen ihre Funktionäre gewählt werden und über
o
die Finanzierung der Parteien zum Teil aus Steuergeldern.
2.2 Die Prinzipien des
Wahlrechts (5)
1. Die beiden
Prinzipien des Wahlrechts
1.
Da das Grundgesetz fast keine Aussagen zum Wahlrecht macht, hat es das Parlament
leicht,
ein
Wahlrecht zu schaffen, das grundgesetzgemäß ist.
2.
Beide Wahlrechtsprinzipien wurden im Bundeswahlgesetz verwendet.
o
das Mehrheitswahlrechtsprinzip und
o
das Verhältniswahlrechtsprinzip.
3.
Für diese beiden Wahlrechtsprinzipien hat man dem Bürger zwei Stimmen gegeben:
o
eine Stimme für das Mehrheitswahlrecht, die so genannte Erststimme
und
o
eine Stimme für das Verhältniswahlrecht, die so genannte Zweitstimme.
2.
Das Mehrheitswahlrecht (Erststimmen und die
Direktmandate)
Das Mehrheitswahlrecht ist relativ einfach.
Es
wird nur in den Wahlkreisen angewendet.
Es
gibt etwa 300 Wahlkreise und jeder Wahlkreis hat insgesamt etwa 200.000 Wähler
und besteht aus mehreren Stimmbezirken.
Wer
in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhalten hat, ist gewählt.
Dieses
Mandat der Bürger heißt Direktmandat.
Es
entstehen immer so viele Direktmandate wie es Wahlkreise gibt.
3.
Das Verhältniswahlrecht (Zweitstimmen und
die Listenmandate)
Das
Verhältniswahlrecht ist demgegenüber besonders in seinen Auswirkungen ziemlich
kompliziert.
Es
wird in allen 16 Bundesländern angewendet.
Hier
zählen die Prozentsätze, die auf jede Parteiliste entfallen.
Die
Ergebnisse in einem Bundesland werden mit den Ergebnissen der anderen Bundesländer
in einem komplizierten Rechenverfahren nach
dem
so genannten Hare-Niemeyer-Verfahren berechnet.
Es
zählt das Verhältnis der Stimmen für eine Partei im Verhältnis zu den Stimmen,
die für andere anderen Parteien abgegeben wurden.
Dieses
Mandat der Bürger heißt Listenmandat.
Wie
viele Listenmandate verteilt werden, lässt sich nicht so einfach feststellen.
4.
Die Kombination der beiden Wahlrechtsprinzipien
1. Mit dem Bundeswahlgesetz hat man
zwei Wahlrechtsprinzipien miteinander kombiniert
–
das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht.
2. Man hat das einfache und
für jeden leicht verständliche Mehrheitswahlrecht, das bei den Erststimmen gilt, mit dem wesentlich
komplizierteren
Verhältniswahlrecht, das für die Zweitstimmen gilt, mit einander kombiniert.
3.
Durch die Kombination eines einfachen Prinzips, das Prinzip des Mehrheitswahlrechts,
mit einem komplizierteren Wahlrechtsprinzip,
dem
Verhältniswahlrecht, wurde ein in seinen Auswirkungen sehr kompliziertes Wahlrecht
geschaffen.
4.
Das Ergebnis ist ein sehr kompliziertes Wahlrecht, das die meisten Bürger in
seinen filigranen Auswirkungen nicht mehr verstehen.
5.
Der Bürger kann die filigranen Auswirkungen der Konsequenzen seiner Stimmabgabe
nicht mehr nachvollziehen.
Bei der
Entscheidung über die Listenmandate werden aufwendige für viele Bürger nicht
nachvollziehbare Berechnungsmethoden nach
dem
so genannten Hare-Niemeyer-Verfahren erforderlich.
Hier
gilt das Verhältniswahlrecht. Wer im Verhältnis zu anderen Parteien mehr
Stimmen erhalten hat, ist aus der Landesliste gewählt.
Dieses
Verhältniswahlrecht ist sehr kompliziert:
6. Diese beiden
Wahlrechtsprinzipien hat man miteinander kombiniert, so dass dies Auswirkungen
auf die Mandatsvergabe hat.
7. Die Mandatsvergabe erfolgt in den drei
Schritten:
(1)
Vergabe der Gesamtmandate nach den Grundsätzen des Verhältniswahl,
(„Oberverteilung“)
(2)
Verteilung der ermittelten Mandate auf die einzelnen Bundesländerlisten,
(„Unterverteilung“)
(3)
Abzug der Direktmandate jeder Partei von den vergebenden Sitzen des
jeweiligen
Landesverbandes.,
(Quelle:
Der Fischer Weltalmanach 2006 – Wahl Spezial – Seite 16)
8. Diese beiden
Wahlrechtsprinzipien hat man auf seltsame Weise miteinander kombiniert,
so
dass dies unterschiedliche Auswirkungen auf die beiden Stimmen hat.
9. Das Wahlrecht
lässt es zu – oder das Wahlrecht wurde absichtlich so verändert – dass den
beiden Stimmen der Wähler für den
Wahlausgang
unterschiedliche Bedeutung zukommen:
o
Ein sehr großer Teil der Erststimmen – oft sogar der größte Teil – fällt für den
Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch.
o
Von den Zweitstimmen fällt immer nur ein kleiner Teil unter den Tisch, nämlich
der, der mit der 5 Prozentklausel umschrieben wird.
5. Die offene Frage
Die Frage, welche der beiden Grundideen des Wahlrechts das
Mehrheitswahlrecht oder das Verhältniswahlrecht besser
ist,
wurde nie beantwortet und damit nie festgelegt.
In der Weimarer Verfassung wurde für alle Wahlen zum
Reichstag, zu den Länder-Parlamenten und für die Gemeindevertretungen zwingend
die
Verhält niswahl vorgeschrieben.
Die
Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und die der Berliner
Verfassung haben bewusst auf eine Festlegung eines
Wahlverfahrens
verzichtet.
Es
herrscht noch nicht einmal Einigkeit darüber, ob die zu verteilenden Mandate nach
den Erststimmen (Direktkandidat) und den
Zweitstimmen
(Listenwahl) gleich sein sollen.
Man
hätte dann allerdings immer eine gerade Zahl von Abgeordneten, was gerade in
kritischen Fällen eine Mehrheit verhindert.
Mit
dem Verzicht auf die Festlegung auf ein Wahlverfahren – Mehrheitswahl recht oder Verhältniswahlrecht oder eine
Kombination aus
beiden
– wollten die Verfassungsgeber den Parteien Gelegenheit geben, ein für unser
Volk und das jeweilige Wahlgebiet zweckmäßige
Wahlverfahren
zu beschließen.
(Quelle: „Erläuterungen zum Berliner Wahlgesetz“ im
„Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ und dem „Bundeswahlgesetz“ und
der
„Verfassung
von Berlin“, 15. Auflage 1962; Herausgeber: Kompaß- Buch- und Zeitschriften-GmbH
Berlin; Seite 141 f)
(Da fällt einem
gleich der bekannte Spruch ein: „Der Zweck heiligt die Mittel!“)
Die
Lücken im Grundgesetz werden nicht dazu benutzt, sie so auszufüllen, dass das
Wahlrecht dem Volke eine Stimme gibt, s
ondern
es gibt den Parteien eine Stimme.
Es
werden innerhalb von mehr als 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland keine Anforderungen
formuliert, die ein Grundgesetz
erfüllen
muss.
Auf
der einen Seite werden filigrane Regelungen (besonders im Bereich der Finanzen
zwischen den drei Gebietskörperschaften
[Bund, Ländern und Gemeinden]) noch weiter ausgebaut auf der
anderen Seite weiß keiner oder kann keiner sagen,
welchen
Anforderungen ein Grundgesetz oder eine Verfassung eigentlich erfüllen soll –
ein krasser Widerspruch!
Es
wurden und werden nicht einmal Anforderungen für (ganz normale) Gesetze formuliert
mit den Konsequenzen, dass sehr viele Gesetze
dauernd
nachgebessert werden müssen.
Stattdessen
einigt man sich auf Eckwerte und öffnet so der Willkür Tür und Tor!
2.3 Die
Änderungen des Bundeswahlgesetzes (4)
1. Das Bundeswahlgesetz [in der Fassung
der Bekantmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I, S. 1288, 1594) zuletzt geändert
durch
Artikel 11 Nr. 2 des Gesetzes vom 30. Juli
2004 (BGBl I S. 1950)] hat 57 Paragraphen.
Es galt erstmals
für die Wahl des dritten Deutschen Bundestages.
2. Das Bundeswahlgesetz wurde sehr oft
geändert.
1. Das
Bundeswahlgesetz ist in jeder Wahlperiode ab der 4. Wahlperiode verändert
worden – in einer Legislaturperiode so gar zweimal.
2. Es ist bisher insgesamt
19 mal geändert worden.
Insgesamt gab es 19 Änderungen des
Bundeswahlgesetzes, so dass es in einigen Wahlperioden mindestens zweimal
geändert worden ist.
(Quelle: „Handbuch zur
Geschichte des Deutschen Bundestages“, 1949 bis 1999
Nomos
Verlag; Band 1, Seite 27 bis 46)
(Das Bundeswahlgesetz galt erst in der dritten
Wahlperiode. In der dritten Wahlperiode musste man es erst einmal ausprobieren
und
bewerten,
ehe man an sinnvolle Änderungen denken konnte!)
3. Man kann unterstellen, dass man
das Bundeswahlgesetz so lange geändert hat, bis es aus Sicht der Parteien sein
Optimum erlangt hat.
Das
Bundeswahlgesetz wurde so oft geändert, bis es den Wünschen und Vorstellungen
der Parteien entsprach.
4.
Die größte Schwierigkeit bestand wohl darin, die freien und unabhängigen Abgeordneten,
die man für diese Änderungen brauchte,
um
die zukünftigen Abgeordneten in der nächsten Wahlperiode in größere
Abhängigkeiten von ihren Parteien zu bekommen, diese
Änderungen
des Bundeswahlgesetzes schmackhaft zu machen.
5.
Der Bürger macht seit Jahrzehnten nur zwei Kreuzchen; die Auswirkungen seiner
beiden Kreuzchen kann er kaum verstehen
oder
gar abschätzen.
3.
Außer dem Bundeswahlgesetz gibt es Landeswahlgesetze.
1. Jedes
Bundesland hat ein anderes Landeswahlgesetz.
2.
Da wir 16 Bundesländer haben, gibt es 16 Landeswahlgesetze.
3.
Die Landeswahlgesetze und die Gesetze für die Kommunalwahlen sind in den einzelnen
Bundesländern sehr unterschiedlich.
Im
Freistaat Bayern gibt es das so genante panaschieren und das so genannte kumulieren.
Im
Bundesland Hessen hatte jeder Wahlberechtigte bei der letzen Kommunalwahl
am 18.03.2001 sage und schreibe 93 Stimmen!
Die
Wahlzettel für jeden einzelnen Wähler bedeckten, wenn man sie zusammen
nebeneinander auf den Boden legte,
fast
einen ganzen Quadratmeter!
Das
dient dann m.E. nicht mehr der gerechten Stimmenverteilung, sondern nur noch
der Verdrossenheit, die sich dann in einer sehr
niedrigen
Wahlbeteiligung ausdrückte. (etwa 53 % ?)
(Quelle:
„Geschlossene Gesellschaft“, Tagesspiegel vom 18.03.2001)
4. Es gibt mehr als 30 verschiedene
Wahlgesetze in Deutschland.
o Jedes Bundesland hat sein eigenes Landeswahlgesetz.
o
Jedes Bundesland hat sein eigenes Wahlgesetz für die Kommunalwahlen.
o
Außerdem gibt es ein Gesetz für die Bundestagswahlen das Bundeswahlgesetz.
o
Außerdem gibt es ein Gesetz für die Europawahlen.
Das
macht zusammen 34 Wahlgesetze.
2.4 Die Unterschiede der
Partei-Delegierten (4)
[Siehe
auch unter
3.4
Die unterschiedliche Legitimierung und Vertretung der Wähler]
1. Jede
Partei hat Delegierte.
2.
Man kann zwei Arten von Delegierten unterscheiden:
o Delegierte des Wahlkreise und
o
Delegierte des Bundeslandes.
3.
Die Bedeutung der Delegierten
1. Erst entscheiden die Delegierten des
Wahlkreises über die Kandidatur und dann die Delegierten des Landes über die
Landesliste.
2.
Die Entscheidung über die Wahlchancen erfolgt durch die höherrangigen Delegierten
des Landes!
4.
Die möglichen Folgen für die Parteidelegierten
1. Die Delegierten werden in ihrer Bedeutung
hierarchisiert:
Delegierte
des Wahlkreise sind bedeutungsloser als Delegierte des jeweiligen Bundeslandes.
2.
Es werden personenbezognen Abhängigkeiten der Kandidaten von den Delegierten
gezüchtet.
3.
Die Botschaften lauten:
o
Stellt euch mit den Delegierten im Wahlkreis gut; dann könnt ihr im Wahlkreis
kandieren!
o
Stellt euch mit den Delegierten des Landes gut – mit denen da oben gut – , dann
werdet ihr Erfolg haben.
4.
Das bestehende Wahlrecht begünstigt Seilschaften.
5.
Das bestehende Wahlrecht verhindert die Eigenständigkeit der Kandidaten.
3. Die wesentlichen Kritikpunkte des Wahlgesetzes
3.1 Die Differenzen zwischen
dem Sein-Sollenden und der Realität (5)
1. Die politische
Willensbildung sollte ihren hochrangigsten Ausdruck im Bundeswahlgesetz finden.
Doch
bereits vor der Wahl stehen die meisten Abgeordneten bereits fest und können
ihren „Sieg“ feiern.
2. Das Wahlrecht,
das eigentlich dem Volke eine Stimme geben müsste, gibt den politischen
Parteien eine Stimme,
besonders
den Parteien, die die Regierung stellen.
1. Fast alle Kandidaten werden von Parteien aufgestellt.
2.
Durch die Absicherung von Kandidaten über (die) Landeslisten der Parteien bestimmen
die Delegierten der Parteien gerade im
Zweifelsfalle
ausschlaggebend über die Wahlchancen ihrer Kandidaten.
o So kann auch jemand
Volksvertreter werden, der in seinem Wahlkreis glatt durchgefallen ist
–
ja der im Extremfall keine einzige Stimme erhalten hat.
Und
das bei Personen, die den Kandidaten noch am ehesten kennen können.
o
Das Bundeswahlgesetz lässt es zu, dass etwa 90 % der Abgeordneten des Deutschen
Bundestages feststehen,
bevor
die Wahl durchgeführt worden ist – ja bevor die Wahlzettel überhaupt gedruckt
worden sind.
3.
Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages gehören einer Partei an.
Die
Parteien zusammen haben aber nicht einmal 1 Million Mitglieder bei über 80
Millionen Einwohnern.
3. Das Bundeswahlgesetz lässt es zu,
dass auch Abgeordnete im Deutschen Bundestag sitzen können, die nur sehr wenige
Stimmen
und im Extremfall sogar keine einzige Stimme in ihrem Wahlkreis erhalten haben.
Sie sind also aus Sicht der Wähler praktisch
durchgefallen und sind dennoch Volksvertreter!
4. Das Parlament war noch nie in seiner
Zusammensetzung ein verkleinertes Spiegelbild der Gesellschaft.
Dabei reden Politiker oft von einer repräsentativen
Demokratie.
5.
Auch ein entsprechender Ausgleich für eine Über- oder Unterrepräsentanz einer
bestimmten Berufsgruppe in der nächsten
Legislaturperiode
fand nie statt.
3.2 Das komplizierte Bundeswahlgesetz
(8)
1. Mit dem Bundeswahlgesetz hat man zwei
Wahlrechtsprinzipien miteinander kombiniert:
o
das relativ einfache Mehrheitswahlrechtsprinzip und
o
das in seinen Auswirkungen kompliziertere Verhältniswahlrechtsprinzip.
1.
Man hat das einfache und für jeden leicht verständliche Mehrheitswahlrecht, das bei den Erststimmen gilt, mit dem
wesentlich
komplizierteren
Verhältnis-wahlrecht, das für die Zweitstimmen gilt, mit einander kombiniert.
2.
Durch die Kombination eines einfachen Prinzip das Prinzip des Mehrheitswahlrechts
mit einem komplizierteren Wahlrechtsprinzip dem
Verhältniswahlrecht
wurden ein in seinen Auswirkungen sehr kompliziertes Wahlrecht geschaffen.
3.
Das Ergebnis ist ein sehr kompliziertes Wahlrecht, das die meisten Bürger in
seinen filigranen Auswirkungen nicht mehr verstehen.
Das Wahlrecht
ist viel zu kompliziert; kein Bürger versteht die letzen filigranen Feinheiten
des Bundeswahlgesetzes.
Jedes Wahlgesetz müsste
einfach sein.
4.
Der Bürger muss jedes Wahlgesetz auch in seinen Auswirkungen verstehen und
durchschauen können.
5.
Es darf nicht sein, dass der Bürger seit Jahrzehnten nach wie vor zwei Kreuzchen
macht, die filigranen Auswirkungen seiner beiden
Kreuzchen
in jeder Legislaturperiode geändert worden sind.
6.
Wenn das Wahlrecht eine Erststimme und eine Zweitstimme vorsieht, muss der
Bürger die Auswirkungen beider Stimmen auch in ihren
filigranen
Auswirkungen verstehen können.
7.
Die filigranen Auswirkungen seines Kreuzchens, das seiner Zweitstimme galt, kann
er nicht mehr verstehen.
8. Wer versteht schon die
Mandatsvergabe in den drei Schritten.
2.
Fazit:
Der
Bürger kann die filigranen Auswirkungen der Konsequenzen seiner Stimmabgabe
nicht mehr nachvollziehen.
Bei
der Entscheidung über die Listenmandate werden aufwendige, für viele Bürger
nicht nachvollziehbare Berechnungsmethoden nach dem
so
genannten Hare-Niemeyer-Verfahren erforderlich.
Hier gilt das
Verhältniswahlrecht. Wer im Verhältnis zu anderen Parteien mehr Stimmen
erhalten hat, ist aus der Landesliste gewählt.
Dieses Verhältniswahlrecht
ist sehr kompliziert.
3. Da das Grundgesetz fast keine Aussagen
zum Wahlrecht macht, hat es dasParlament leicht, ein Wahlrecht zu schaffen,
das
grundgesetzgemäß ist.
Natürlich haben die Parteien hier ein Wörtchen
mitzureden und auch mitgeredet.
Schließlich
geht es um die Macht im Staate und um die Herrschaft über Volk.
4. Das Grundgesetz
lässt es zu, dass zwei Wahlprinzipien mit einander vermengt werden:
Das
Verhältniswahlrecht und das Mehrheitswahlrecht.
Mit dem Verzicht
auf die Festlegung auf ein Wahlverfahren – Mehrheitswahlrecht oder
Verhältniswahlrecht oder eine Kombination aus
beiden
– wollten die Verfassungsgeber den Parteien Gelegenheit geben, ein für unser
Volk und das
jeweilige
Wahlgebiet zweckmäßige Wahlverfahren zu beschließen.
5. Das Bundeswahlgesetz ist so
konstruiert, dass mit dem für die Bürgereinfachere Mehrheitswahlrecht in jedem
Wahlkreis und
in
jedem Bundesland immer viel mehr Stimmen für den Wahlausgang bedeutungslos
unter den Tisch fallen als von dem
komplizierteren
Verhältniswahlrecht.
Das Wahlrecht lässt es zu, dass sehr viele Erstimmen –
oft der größte Teil der
Erststimmen
für den Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch fallen.
Es fallen sogar sehr oft die
meisten Stimmen bedeutungslos unter den Tisch.
6.
Das Wahlrecht lässt es zu, dass die Zweit-Stimmen sehr komplizierte Auswirkungen
auf das Wahlergebnis haben,
die
für fast alle Bürger unverständlich sind.
7.
Das Bundeswahlgesetz lässt es zu, dass nicht das für den Bürger einfachere
Mehrheitswahlrecht den Ausschlag für die
Zusammensetzung
des Deutschen Bundestages gibt, sondern da kompliziertere Verhältniswahlrecht.
8. Das Bundeswahlgesetz lässt es
zu, dass Parteien eine Regierung bilden können, die die Mehrheit der Wähler
nicht gewollt hat.
3.3 Die Paradoxien im
Bundeswahlgesetz (3)
Wer versteht schon die
Feinheiten der Mandatsvergabe nach dem so genannten Hare-Niemeyer-Verfahren mit
seinem
„Alabama-Sitz-Zuwachs-Paradoxon“
und seinem „Parteien-Zuwachsparadoxon“?
Es gibt auch in dem mehrmals veränderten
Bundeswahlgesetz mindestens drei Ungereimtheiten oder Paradoxien. (3)
1. Es kann z.B. sein, dass die Ergebnisse
einer Nachwahl, die in einem Wahlkreis notwendig geworden ist, Auswirkungen auf
ein
Mandat
in einem ganz anderen Bundesland hat.
2.
Es kann sein, dass die Erhöhung der Gesamtsitzzahl zu einem Sitzverlust für
eine Partei führen kann.
(„Alabama-Sitz-Zuwachs-Paradoxon“)
3. Wenn eine Partei keine Mandate
erhalten hat, weil sie z.B. die 5 %-Hürde nicht übersprungen hat, so kann dies
bei anderen
Parteien
zu einem Sitzgewinn führen. („Parteien-Zuwachs-Paradoxon“)
(Quelle: Der Fischer Weltalmanach 2006 – Wahl Spezial –
Seite 16)
Hier gilt, was die
beiden Stimmen der Wähler angeht, der Spruch „Teile, so wirst Du herrschen!“
3.4 Die unterschiedliche
Legitimierung und Vertretung der Wähler (5)
1.
Die „doppelte“ Kandidatur erhöht die Wahlchancen.
1. Ein Kandidat eines Wahlkreises kann auch auf der Landesliste
einer Partei kandidieren und umgekehrt.
2.
Die Delegierten das Landes entscheiden darüber, ob jemand auf die Landesliste
kommt und auch darüber, welchem Platz der Kandidat auf
der
Landes-liste erhält.
3.
Da ein sicherer Listenplatz für die Wahl entscheidend sein kann, gibt es sehr häufig
wegen der Platzierung auf der Landesliste parteiinternen
Streit
und so genannte „Kampfabstimmungen“.
4.
Das Wahlrecht, das eigentlich dem Volke eine Stimme
geben sollte, stellt die Entscheidungen der Parteidelegierten über die des
Wählers.
2.
Die Folgen der „doppelte“ Kandidatur für Kandidaten
1. Die Kandidaten, die über die
Landesliste „abgesichert“ sind, haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit „gewählt“
zu werden als ohne diese
Absicherung.
2.
Je weiter oben der Name eines Kandidaten auf der Landesliste steht, desto höher
die Wahrscheinlichkeit, „gewählt“ zu werden.
3.
Es ist für einen Kandidaten praktisch unerheblich, ob er in seinem Wahlkreis
gewinnt oder wie viele Stimmen er erhält – er ist „gewählt“,
wenn
er nur den richtigen Platz also einen der vorderen Plätze auf der Landesliste
erhalten hat.
3.
Die Reihenfolge der Festlegungen bei der Auswahl der Kandidaten
1. Erst entscheiden die Delegierten des Wahlkreises über die
Kandidatur und dann die Delegierten des Landes über die Landesliste.
2.
Durch „doppelte“ Kandidatur im Wahlkreis und auf der Landesliste kann eine Steuerung
der Wahlchancen der Kandidaten erfolgen.
(„Absicherung
der Kandidatur über die Landesliste“)
3.
Die Entscheidung über die Wahlchancen erfolgt durch die höherrangigen Delegierten
des Landes!
4.
Die möglichen Folgen der „doppelte“ Kandidatur für die Wähler
1. Dem Wähler wird vorgegaukelt, dass
er aus einer Reihe von Bewerbern auswählen kann.
2.
Durch die Absicherung eines Kandidaten über die Landesliste werden – völlig unabhängig
vom Verhalten der Wähler – Wahlchancen erhöht
oder vermindert.
3.
Bereits bevor die eigentliche Wahl stattgefunden hat, ja bevor überhaupt die Wahlzettel
gedruckt sind, stehen bis zu 90 % aller
Abgeordneten
fest.
4.
Selbst wenn jemand im Extremfall keine einzige Stimme in seinem Wahlkreis erhalten hat – also von Personen, die ihren
Kandidaten kennen
müssten
– zieht er als „gewählter“ Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein.
5. Bei der Wahl von Abgeordneten
haben die um die Wahlergebnisse konkurrierenden Wähler weniger Macht als die
hochrangigen
Landesdelegierten
der Parteien.
5.
Die möglichen Folgen für die Parteidelegierten
1. Die Delegierten werden in ihrer Bedeutung hierarchisiert:
o
Delegierte des Wahlkreise sind bedeutungsloser als Delegierte des Bundeslandes.
Das
Wahlrecht, das eigentlich dem Volke eine Stimme geben sollte, hierarchisiert
die Delegierten aller Parteien.
2.
Es werden personenbezognen Abhängigkeiten der Kandidaten von den Delegierten
gezüchtet.
Die
Botschaften lauten:
o
Stellt euch mit den Delegierten im Wahlkreis gut; dann könnt ihr im Wahlkreis
kandieren!
o
Stellt euch mit den Delegierten des Landes – mit denen da oben – gut, dann
werdet ihr Erfolg haben.
3.
Das bestehende Wahlrecht begünstigt Seilschaften.
4.
Das bestehende Wahlrecht verhindert die Eigenständigkeit der Kandidaten.
3.5 Die für den Wahlausgang
bedeutungslosen Stimmen (3)
Eigentlich könnte man ja denken,
dass die Erstimme wichtiger ist als die Zweitstimme. Aber die Realität sieht
anders aus!
1.
Die Erststimmen für die Wahlkreise und die Direktmandate
1. In jedem Wahlkreis
entscheidet die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Erststimmen) über
Sieg und Niederlage – also über den
Einzug
in den Deutschen Bundestag.
Alle
anderen abgegebenen Erst-Stimmen fallen – für den Wahlausgang bedeutungslos –
unter den Tisch.
Da
viele Kandidaten in jedem Wahlkreis antreten, fallen sehr oft die meisten der
abgegebenen Erst-Stimmen bedeutungslos unter den Tisch!
So fallen oft die meisten
der Erstimmen in jedem Stimmbezirk, in jedem Wahlkreis und in jedem Bundesland
für den Wahlausgang
bedeutungslos
unter den Tisch.
2.
In einem Wahlkreis wird ein Kandidat mit einem so genannten Direktmandat Volksvertreter, der die meisten Stimmen auf
sich vereinigt hat.
3.
Die anderen Stimmen fallen immer in jedem Wahlkreis für den Wahlausgang bedeutungslos
unter den Tisch.
4.
Da in jedem Wahlkreis immer sehr viele Kandidaten antreten, fallen immer sehr
viele Erststimmen für den Wahlausgang bedeutungslos
unter
den Tisch.
5.
Beispiele:
(1)
Erhält ein Kandidat in seinem Wahlkreis die absolute Mehrheit (von z.B. 50 %
und einer Stimme) und die Wahlbeteiligung liegt bei
100%,
so fallen eben rund 49,9 % der Stimmen für den Wahlausgang bedeutungslos unter den
Tisch.
(2)
Liegt die Wahlbeteiligung bei 75 % und der Sieger in einem Wahlkreis erhält die
absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen
(von
50 % und einer Stimme), so erhält er bloß noch rund 37,5 % der möglichen Erststimmen
und hat trotzdem die absolute Mehrheit der
abgegebenen
Erststimmen.
Alle
anderen Erststimmen fallen für den Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch.
Hinter
dem Sieger des Wahlkreises, der seinen Wahlkreis mit absoluter Mehrheit
gewonnen hat, stehen nur rund 37,5 % der Wähler
(3)
Wenn ein Wahlkreis stark umstritten ist und das Ergebnis knapp ausfällt, so
kann es sein, dass auf den Sieger das Wahlkreises nur
z.B.
ein Drittel der abgegeben gültigen Stimme entfällt.
Bei
einer Wahlbeteiligung von wieder 75 % stehen hinter dem Sieger nur 25 % der
Wähler.
Andererseits
fallen zwei Drittel der abgegebenen gültigen Erststimmen für den Wahlausgang
bedeutungslos unter den Tisch.
6.
Die Wirkungsmechanismen:
(1)
Je geringer die Wahlbeteiligung, desto weniger Wähler stehen hinter dem gewählten
Sieger.
(2) Je mehr Parteien in
einem Wahlkreis antreten, desto größer ist dieWahrscheinlichkeit, dass die
meisten der abgegebenen gültigen Erst-
stimmen
für den Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch fallen.
(3)
Verknüpft man nun beide Wirkungsmechanismen miteinander, so dass möglichst
viele Wählerstimmen für den Wahlausgang
bedeutungslos
unter den Tisch fallen, so ergibt sich etwa folgendes extreme Szenario.
Die
Vorgaben:
o
Die Wahlbeteiligung soll bei nur 60% liegen.
o
Zur Wahl sollen dreißig Kandidaten antreten.
o
Jeder Kandidat soll die gleiche Anzahl von Erststimmen erhalten, aber einer
eine Stimme mehr.
7.
Die Ergebnisse:
(1)
Auf jeden Kandidaten entfallen nur rund 2 % der abgegebnen gültigen Erststimmen.
(2)
Es fallenrund 58 % der abgegebenen gültigen Erststimmen für den Wahlausgang
bedeutungslos unter den Tisch.
(3)
Es sind nur gut 2% der abgegebenen gültigen Erststimmen für den Wahlausgang entscheidend. Die anderen 58 % der abgegebenen
gültigen
Erststimmen fallen für den Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch.
Das
ist ein Verhältnis von 1 zu 29!
(4)
Hinter dem Sieger das Wahlkreises stehen nur 1,2 % der Wähler des Wahlkreises.
7. Ein Beispiel:
Ihre
Erststimme ist bedeutungslos, wenn Sie nicht den Namen des Kandidaten ankreuzen,
der sich später als Sieger herausstellt.
2. Die Zweitstimmen für die Landeslisten und
die Listenmandate
1. Die Kandidaten auf der Landesliste werden mit der
Zweitstimme gewählt.
2.
Es rücken so viele Kandidaten in den Deutschen Bundestag wie es dem Verhältnis
der Zweitstimmen zu anderen Parteien entspricht.
3. Die Zweitstimmen entscheiden letztendlich über die
Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und nicht die Erststimmen.
4.
Bei den Zweitstimmen fallen immer viel weniger Stimmen für den Wahlausgang
bedeutungslos unter den Tisch.
Es
sind alle Stimmen, die für Parteilisten abgegeben worden sind, die unter die so
genannte 5-Prozent-Klausel gefallen sind.
5. Von
den Zweitstimmen fällt nie die Mehrheit der Stimmen für den Wahlausgang
bedeutungslos unter den Tisch.
Von
den Zweitstimmen können im Vergleich zu den Erststimmen nur sehr wenige Stimmen
für den Wahlausgang bedeutungslos
unter
den Tisch fallen.
6.
Damit entscheidet die Zweitstimme der Wähler nicht nur über die Zusammensetzung
des Parlaments:
o
Die Zweitstimme der Wähler bestimmt auch noch die Anzahl der Ausgleichsmandate.
o
Es fallen immer im Vergleich zu den Erststimmen immer erheblich weniger Zweitstimmen
für den Wahlausgang bedeutungslos
unter
den Tisch als von den Erststimmen.
Das
gilt für jedem Wahlkreis für jedes
Bundesland und in der gesamten Republik.
7. Die Zweitstimmen sind also
aus zwei wichtigen Gründen wichtiger als die Erstimmen:
o
Es fallen stets weniger Stimmen für den
Wahlausgang bedeutungslos unter den Tisch als von den Erststimmen.
o
Es werden mehr Mandate über die Zweitstimmen verteilt als über die Erststimmen.
8. Ein
Beispiel:
Ihre
Zweitstimme ist bedeutungslos, wenn sie eine Partei ankreuzen, die weniger als
5 % der Zweistimmen erhält.
3. Die Folgen für die Mandate
1. Da man an den Direktmandaten nichts
ändern will und kann, erfolgt der Ausgleich der Mandate über die Änderung über
die Listenmandate,
also
über die Zweitstimmen.
Man
kann nicht einfach einem Kandidaten, der ein Direktmandat errungen hat, dieses
Mandat wieder wegnehmen.
2. Es gibt Überhangmandate (bei
den Direktmandaten) und Ausgleichsmandate (bei den Listenmandaten).
3.
In jedem Deutschen Bundestag ist die Anzahl der Abgeordneten, die nach den
Zweitstimmen gewählt worden sind, höher als die Anzahl der
Abgeordneten,
die nach den Erststimmen gewählt worden sind.
4. Man
kann auch Vertreter des Volkes werden, wenn man in seinem Wahlkreis
–
also von den Leuten, die den Kandidaten
am ehesten kennen können – keine einzige Stimmer erhalten hat.
5.
Die Anzahl der Abgeordneten hängt nicht von der Wahlbeteiligung ab.
6. Ein Beispiel:
Ihre
Erststimme und ihre Zweitstimme sind für den Wahlausgang völlig bedeutungslos,
wenn Sie mit der Erststimme nicht den Gewinner des
Wahlkreises gewählt haben und wenn Sie mit ihrer Zweitstimme
eine Partei
gewählt
haben, die unter der 5 Prozenthürde geblieben ist.
Sie
sind dann umsonst zur Wahl gegangen.
3.6 Die Kritikpunkte als
Meinungsäußerung zusammengefasst (9)
(Besonders
die Auswirkungen der Diskrepanzen zwischen dem Sein-Sollenden und
der
Realität und der Kompliziertheit des Bundeswahlgesetzes)
1. Es wurde ein Wahlrecht geschaffen,
das nicht den Wählern eine Stimme gibt, sondern den Parteien.
Das Bundeswahlgesetz gibt nicht dem
Volke (oder besser den Wählern) eine Stimme, sondern den Parteien besonders den
Parteien,
die
die Regierung bilden.
Die Parteien entscheiden
letztendlich darüber, wer Volksvertreter wird.
2.
Im Politikfeld der Repräsentativen Demokratie verstößt das
Wahlrecht – und damit verbunden –
das
Parteienfinanzierungsgesetz gegen Geist und Buchstaben der Verfassung.
Es werden ganz bewusst Fehler durch
Verstoß gegen staatsrechtliche Sollvorgaben begangen:
(1)
Fehler durch Verstoß gegen Geist und Sinn der Verfassung
(2)
Fehler durch Verstoß gegen Rechtsprinzipen
(Die
Abgeordneten vertreten nicht die gleiche Anzahl von Bürgern.)
3. Die Wahlbeteiligung der Bürger müsste
eigentlich einen Einfluss auf die
Anzahl
der zu vergebenen Sitze haben; sie hat aber keinen Einfluss!
Die
Wahlbeteiligung hat weder einen Einfluss auf die Anzahl der Abgeordneten noch
auf die Auswahl der Personen, die im Parlament sitzen!
Den
Politikern kann es also egal sein, ob viele oder wenige Bügler zur Wahl gehen.
Die
Wahlbeteiligung interessiert nicht!
Die
Hauptsache ist, dass das Verhältnis der abgegebenen Stimmen, die man selbst
erhalten hat, zu anderen Parteien erfreulich ist.
4.
Das Bundeswahlgesetz lässt es zu, dass die Abgeordneten unterschiedliche Rechte
und Pflichten haben:
o Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sind am
Gängelband ihrer Parteien und tun das, was man ihnen vorschreibt.
o
Die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen sind relativ frei und können kleine
und große Anfragen stellen und Gesetzentwürfe
einbringen.
o Die Abgeordneten mit einem
Direktmandat müssen ihren Wahlkreis betreuen, die Abgeordneten mit einem
Listenmandat haben die damit
verbundenen
Aufgaben nicht. Manche machen es trotzdem.
5. Das Bundeswahlgesetz lässt es zu,
dass Parteien eine Regierung bilden können, die die Mehrheit der Wähler nicht
gewollt hat.
6. Wer das Wahlrecht auf der einen Seite
sehr einfach macht oder einfach belässt und auf der anderen Seite sehr
kompliziert
macht,
so dass der Bürger die einzelnen filigranen Auswirkungen nicht mehr versteht,
will eigentlich gar nicht wissen, was der
Bürger
will, sondern verfolgt andere Ziele.
7. Das Wahlrecht wirkt so nicht
demokratiefördernd sondern demokratiefeindlich.
Eigentlich soll
das Wahlrecht die wichtigste Scharnierstelle zwischen Volk und ihrer Vertreter
sein.
o
Es soll die Legitimierung und Begrenzung der Macht regeln.
o
Es soll dafür sorgen, dass dem Volke eine Stimmer gegeben wird.
Von
einer repräsentativen Demokratie sind wir meilenweit entfernt!
o
Es soll die Handlungsfähigkeit des Parlaments sicherstellen.
Das
ist die wohl wichtigste Begründung für die 5 % -Klausel.
8. Das Wahlrecht hat seltsame
Nebenwirkungen:
o
Das Wahlrecht dient dazu, die Parteien zu finanzieren.
Den Parteien
ist die Wahlbeteiligung nicht so ganz egal; denn sie erhalten für jede
abgegebne Stimme (Zweitstimme) ein bestimmten
Betrag
als sogenannte Wahlkampfkostenerstattung.
Das
sind natürlich auch Steuergelder.
o Das Wahlrecht dient dazu, die
Delegierten der Parteien zu hierarchisieren.
Die Landesdelegierten haben
mehr Macht über die Kandidaten als die Delegierten des Wahlkreises.
9. Man hat nach mehr als 50 Jahren
Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht herausgefunden, welches Wahlgesetz
das
beste ist oder wenigstens ein Bundesrahmengesetz beschlossen.